Blockchain als dezentrale Wollmilchsau?
Geld regiert die Welt: Monetäre Anreize für Open Source-Entwickler fallen deutlich geringer aus als eine Vollzeitbeschäftigung bei Google. Darum ist es schwierig, Talente zur Entwicklung von dezentralen und/oder Open Source-Anwendungen zu bewegen. Handelt es sich dann noch um die Entwicklung von Smart Contracts, die bei der Abwicklung von Finanzgeschäften oder in der Rechtsprechung Anwendung finden sollen, stellt sich die Frage nach Haftbarkeit des Entwicklers und Souveränität der Nutzer. Ein Lösungsansatz für undurchsichtige Smart Contracts könnte eine formale Authentifizierung sein, die jeder, aber zumindest Mathematiker durchführen können, um von Programmierern erstellte Smart Contracts zu prüfen. Das geht zurzeit jedoch nur mit der Kryptowährung Tezos und nicht mit dem Vorreiter von Smart Contracts: Ethereum.
Auch dezentrale Systeme wie Bitcoin unterliegen immer einem Mindestmaß an Kontrolle durch Schlüsselfiguren. Wenngleich jeder das Bitcoin-Protokoll forken, sprich kopieren und verändern kann, wird der Fokus der Entwicklergemeinde wohl immer auf einer einzigen Umsetzung wie Bitcoin Core liegen. Gemeinsamer Konsens baut immer auf einer vordefinierten Struktur auf. Jameson Lopp behandelt in einem englischen Beitrag die Gründe.
Damit ein Internet of Things – also der Zusammenschluss aller vernetzten Geräte über das Internet – funktionieren kann, müssen sich Hersteller auf Standards einigen. Und das tun sie: Amazon, Apple, Google und die Zigbee Alliance wollen künftige Geräte zuerst im Smart Home und später auch in weiteren Bereichen interoperabel machen. Das Leben der Menschen soll damit bequemer und effizienter werden. Wenn der Wecker um 7 Uhr klingelt, brüht bereits die Kaffeemaschine in der Küche vor und der Toast springt auf den Teller. Der Toaster erkennt durch eine Waage im Küchenschrank, wie viel Toast noch übrig ist und bestellt eigenständig nach, da der Hausherr für morgen einen Brunch bei sich mit ein Dutzend Leuten in seinem Kalender eingetragen hat. Die Frage wird weniger sein, was Geräte der Zukunft alles können, sondern ob wir unsere Selbstständigkeit in die Hände von Maschinen legen wollen, die uns zum gläsernen Menschen machen und mit der Zeit in eine vollkommene Abhängigkeit stürzen, wenn die künstliche Intelligenz erstmal alle Bereiche der Kommunikation und des Transports übernimmt.
Im Straßenverkehr würde das so aussehen, dass uns Connected Cars selbstständig anhand der Ortsangaben im Kalender von A nach B shutteln und unterwegs in Sekundenbruchteilen mit anderen Autos und einer smarten Verkehrsinfrastruktur kommunizieren. Eine intelligente Verkehrsführung würde Unfälle und Staus weitestgehend vermeiden und bessere Analysen zur Verkehrsoptimierung zulassen. Doch Technik gerät spätestens in Ausnahmesituationen in ethische Zwickmühlen: Soll ein Auto bei einem Ausweichmanöver das Kind oder den Opa überfahren? Darf also eine Maschine bzw. deren Entwickler eine Entscheidung über Leben und Tod nach Maßstäben des Alters, sozialen Status’ oder der Überlebenschance der beteiligten Personen treffen? Philosoph Richard David Precht verneint und fordert Vorgaben der Politik ohne Interpretationsspielraum. Menschengeschriebener Code kann nie zu 100% fehlerfrei und objektiv sein.
Besonders für ein dynamisches Umfeld wie den Straßenverkehr brauchen wir eine nahtlose Kommunikation, wie sie mit dem neuen 5G-Standard möglich wird. Die Latenz wird gegenüber LTE deutlich gesenkt, die Reichweite jedoch auch. Selbst wenn alle Hauptverkehrsstraßen abgedeckt werden, müssen Systeme auch komplikationsfrei und unabhängig von einer vernetzten Infrastruktur funktionieren, um Netzausfälle, -überlastungen oder Funklöcher zu überstehen.
Neben den bekannten FinTech-Unternehmen müssen auch andere Branchen wie die Autoindustrie mitspielen. Es sollte nicht zu Insellösungen kleinerer Hersteller kommen, die aufgrund von Lizenzbeschränkungen oder staatlichen Embargos globale Standards nicht nutzen können. Im Sinne der Dezentralisierung ist Open Source unabdingbar. Um die Privatsphäre der Nutzer zu schützen, sollte ein Standard ohne optionale Erlaubnis keine Auswertung von Daten vornehmen. Wirtschaft und Politik hätten jedoch Interesse daran, im Sinne der Dienstentwicklung und Unfallursachenforschung genau diese Daten einzusehen und auszuwerten. Langfristig kann nur eine internationale, politische Zusammenarbeit in der Datenpolitik eine Dezentralisierung gewährleisten, in der dem Nutzer die volle Kontrolle über das Sammeln, Speichern und die Weitergabe seiner Daten gewährt wird. Ansonsten reiht sich die Distributed Ledger Technology in die Reihe der Datenkraken Apple, Amazon, Google und Facebook ein. Dies würde den Wettlauf um die umfassendsten Datenmengen und deren automatisierte Auswertung noch weiter befeuern. Werden die Initiatoren der Vorratsdatenspeicherung CDU/CSU und SPD eine Gesetzesgrundlage im Interesse der Bürger schaffen? Das EU-Parlament ist mit der Datenschutz-Grundverordnung jedenfalls über das Ziel hinausgeschossen.